Gutshaus Streu auf Rügen: Von Hitler-Verschwörern, Abenteurern und legendären Schätzen
Das ehemalige Rittergut Streu auf Rügen hat eine bewegte Geschichte. Wo einst Wehrmachtsoffiziere konspirierten, hat sich ein Paar aus Hamburg einen Lebenstraum erfüllt. Wie es eine schlafende Schönheit wachküsste und warum die Familie ihr Gut nach Silber absucht.
Die Retter kommen, an einem trüben Novembertag im Jahr 2001: Gisa und Hans-Peter Reimann, zwei Hamburger, suchen Rügens Küste nach einem Feriendomizil ab. Sie finden das ehemalige Rittergut Streu und mit ihm das um 1790 erbaute Herrenhaus – Schauplatz von Verschwörungen und Versteck eines legendären Schatzes.
Einst konnte sein Anblick verzücken, doch als die Reimanns es erblicken, geizt das Anwesen mit Reizen: Die Fassade bröckelt. Fenster und Türen hängen – wenn vorhanden – nur noch mit einem Zipfel in den Angeln. Fußböden, Öfen, Wendeltreppe – im Haus fehlt alles. Dafür sind Schutt und Scherben im Übermaß vorhanden. Der Keller steht unter Wasser. Das Gutshaus – eine Ruine.
Wo die meisten Reißaus nehmen würden, stürzen sich die Reimanns ins Abenteuer. Sie sehen, was anderen Augen entging: ein Herrenhaus, gut teil- und somit für zwei Parteien nutzbar, auf eine der wenigen auf Rügen erhaltenen Gutsanlagen, die die Lebens- und Arbeitsverhältnisse zu Beginn des 20. Jahrhundertes widerspiegeln. Zusammen mit Freunden kaufen sie das Haus für 220 000 D-Mark. Die Wege trennen sich, die Reimanns gehen das Projekt schließlich allein an.
„Wir waren damals schon im Rentenalter. Unser Sohn hat uns für verrückt erklärt. Inzwischen hat er selbst bei Wismar eine alte Büdnerei restauriert, die sah viel schlimmer aus als unser Haus“, erzählt Hans-Peter Reimann und lacht. Er und seine Frau sind heute beide 80 Jahre alt. Sie kennen sich seit ihrer Schulzeit, sind seit 62 Jahren ein Paar, 53 davon verheiratet. Das Gut sei ihr „Lebensabendprojekt“, sagt Hans-Peter Reimann. Die einstige Ruine ist heute ein Schmuckstück und Lebensmittelpunkt der Familie.
Den Nordflügel bewohnen die Reimanns selbst, im Südflügel lebt ihre Tochter Wiebke Vogel zusammen mit ihrem Mann und vier Kindern. Bevor sie sich hier niederließ und eine Tierarztpraxis mit inzwischen 20 Mitarbeitern aufbaute, bekam die Veterinärmedizinerin sowas wie einen royalen Ritterschlag: „Sie hat sich in England einmal um die Polopferde von Prinz Charles gekümmert“, berichtet Hans-Peter Reimann stolz. Dass sich seine Tochter samt Familie trotz Erfolgen im Ausland im beschaulichen Streu niederließ, sei ein Glücksfall gewesen. „Andernfalls hätten wir das alles nie gemacht.“
Ein anderer Bewohner hat eine Weltreise hinter sich: Ein sechs Meter langes Tischtuch, aus Streuer Flachs im nahen Gingst gewebt, kam über verschiedene Wege bis nach Australien und in die USA, bevor es der Enkel des frühere Gutsbesitzers Hans Volckmann zurück in die Heimat brachte.
Hier war es einst Zeitzeuge einer Verschwörung: Das Tuch bedeckte den Tisch, an dem die Widersacher des wohl schlimmsten Diktators der Weltgeschichte konspirierten. In den Tagen vor dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 lud Hans Volckmann ranghohe Wehrmachtsoffiziere auf sein Gut nach Streu ein, zu einem als Krebsessen getarnten Geheimtreffen. Daran teilgenommen haben sollen hochrangige Persönlichkeiten wie General Otto von Stülpnagel – 1940 bis 1942 Militärbefehlshaber – in Frankreich und Generaloberst Friedrich Fromm, der bis dato Hitlers Ersatzheer befehligte.
Das ist noch immer so. Dreh- und Angelpunkt der Familie aber ist Streu. Auch Hans-Peter Reimann Schwester hat es mittlerweile hierher verschlagen: Sie lebt im früheren Verwalterhaus. Insgesamt sieben Gebäude auf dem Gutsgelände hat die Familie zu einstiger Blüte zurückverholfen, darunter das Haus, in dem die Puvogels Hund, Katz’ und Maus verarzten sowie einen Stall, dessen Boxen demnächst Patientenpferde beherbergen sollen. Das nächste Großprojekt liegt hinterm Zaun und bildet das Bindeglied zwischen Anlage und Boddenufer: der Gutspark. Der gehört zwar nur zu Teilen den Reimanns, darum kümmern wollen sie sich trotzdem.
Vielleicht stoßen sie dabei auf das, was sich Gerüchten nach irgendwo auf dem Gut befinden soll: ein Silberschatz. Den soll der ehemalige Gutsbesitzer kurz vor Einmarsch der Roten Armee vergraben haben.