SeeHafen Rostock

#1 von Luisa , 18.12.2021 22:07

Seehafen Rostock: Sie war die erste „Container-Frau“
1968 wurden die ersten Container im Rostocker Hafen verladen. Marlies Lübker war damals dabei. Und berichtet, was das für ein Abenteuer war.

Im Wintergarten von Marlies Lübker im Rostocker Stadtteil Bramow liegen Bücher und Fotos und Aufzeichnungen und ihre alte Kaderakte. Von dem Grundstück der 75-Jährigen ist, wenn man den Hals etwas reckt, ein Stück Warnow zu sehen. „Mein Seeblick“, scherzt die schlanke, agile Rentnerin. Nicht allzu weit entfernt in nördliche Richtung, auf der anderen Seite des Warnowufers, liegt der Seehafen. Dort im Überseehafen Rostock, wie er damals hieß, war sie dabei, als vor 53 Jahren das erste Mal ein Containerschiff abgefertigt wurde. Marlies Lübker war seinerzeit Ingenieur-Ökonomin für Seeverkehr, Spediteurin, Anfang 20 und eine der wenigen Frauen, die sich im nicht immer milden Männer-Hafen-Klima behaupteten.

Mit 36 Containern nach England
Das erste Container-Schiff der Deutschen Seereederei, der Staatsreederei der DDR, war die „Falke“, ein Küstenmotorschiff, das durch die Entfernung des Ladegeschirrs zum Containerschiff wurde. Das 60 Meter lange Schiff konnte 36 Container aufnehmen. Zum Vergleich: Das 400-Meter-Containerschiff, das sich Ende März im Suezkanal verkeilt und diesen dadurch tagelang blockiert hatte, die „Ever Given“, transportiert etwas mehr als 20 000 Container. „Ab November 1968 gab es im Überseehafen eine wöchentliche Abfahrt des Containerschiffs im Liniendienst nach Tilbury in England“, sagt Marlies Lübker. „Die Einführung der Container war für uns etwas ganz Besonderes“, erinnert sie sich. Der Transport wurde effizienter, die Verladung schneller. „Auch der Anteil der schweren körperlichen Arbeit während der Verladung wurde geringer.“
Aber als 1968 die Container-Geschichte im Rostocker Hafen begann, war das Verladen der Blechbüchsen auch noch ein Abenteuer. „Mit zwei mobilen Kränen wurden die Container angehoben“, berichtet die ehemalige Spediteurin. „Die Kranfahrer waren alle Künstler“, schwärmt sie. Es gab ja kein Anschlaggeschirr für die Behälter. „Vier Haken mit Stahlseilen wurden an die Ecken der Container gefummelt.“ Auch die Verlaschung an Deck soll in keinster Weise dem Arbeitsschutz entsprochen haben.

Mitten in der Männerwelt
„Ich war bei den Containerschiffen bei Bordabsprachen dabei – als Frau war ich die absolute Ausnahme“, sagt Marlies Lübker lächelnd. Bei den Absprachen war es in jener Zeit auch üblich, mal ein Gläschen zu trinken. „Das war nie Eierlikör – ich habe oft versucht, mich davor zu drücken.“ Bis zum Schluss habe sie in der Männerwelt nie lockergelassen, ging Diskussionen, etwa mit dem Oberstauer, nie aus dem Weg. „Ich war eine blonde junge Frau – Sie können sich vorstellen, wie da manchmal hinterhergepfiffen wurde.“
Eigentlich wäre sie gern zur See gefahren. Das Maritime hatte sie schon als Kind angezogen: Sie besuchte die Arbeitsgemeinschaft „Junge Matrosen“ auf der alten „Vorwärts“, die am Mühlendamm lag. „Wir waren nur wenige Mädchen, aber es war eine tolle Kameradschaft, wir haben das Morse- und Flaggenalphabet sowie die Seemannsknoten gelernt und sind gerudert, bis wir Blutblasen an den Händen hatten.“ Als die „Vorwärts“ Ende der 80er Jahre zum Verschrotten geschleppt wurde, habe sie geheult. „Leider gab es in der DDR keine nautische Ausbildung für Frauen“, sagt „Jungmatrosin“ Lübker.

Sie erzählt von ihrem Großraumbüro im Hafen, in dem es im Hochsommer so heiß wurde, dass die „Brühe“ an einem herunterlief und die Hafenfeuerwehr das Gebäude zur Kühlung ab und zu abspritzte, „weil kein Fenster aufgingen, da es zwar eine Klimaanlage gab, aber die funktionierte kaum“. Sie zeigt ein Foto von einer Schlange vor dem Hafen-Konsum. „Es hieß nur: Es gibt Bananen! Und das Großraumbüro stand Schlange“, berichtet sie und lächelt über diese längst vergangene Zeit, die gar nicht so lange her ist.

Fast 6000 Mitarbeiter hatte der Hafen im Jahr 1989. Mit der Wende brach der Containerumschlag ein. Mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs übernahmen Hamburg, Rotterdam und Antwerpen die Kapazitäten. 1992 wurde Marlies Lübker arbeitslos, schulte um und war bis zur Rente im Jahr 2005 in einer Rostocker Firma für Schweißtechnik beschäftigt. Jetzt streift ihre Katze Josi um ihre Beine, ein Gewitter zieht über Bramow Richtung Hafen. „Im nächsten Leben möchte ich in Italien geboren werden, dem Land meiner Träume.“ Frau Lübker räumt die alten Fotos zusammen, ihre alte Personalakte, ihr Arbeitsleben.

Bild: Das erste Containerschiff der DDR, die „Falke“. Das Bild stammt aus dem Buch „Chronik Hafen Rostock 1960-2005“ der Hafenentwicklungsgesellschaft Rostock GmbH.


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Luisa  
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zuletzt bearbeitet 18.12.2021 | Top

   

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