Kosmologie

#1 von Werner , 23.07.2020 14:51

Wurmlöcher im Labor
Zwei Schwarze Löcher, die durch ein Wurmloch miteinander verbunden sind, könnten eines der größten Rätsel der Kosmologie lösen.
Nun haben Physiker eine Möglichkeit vorgeschlagen, ein solches Szenario im Labor umzusetzen – ganz ohne Schwarze Löcher, aber mit ultrakalten Atomen.

Manche physikalische Theorien klingen mehr nach Sciencefiction als nach der Wirklichkeit. Ein Beispiel dafür ist ein Szenario, bei dem zwei Schwarze Löcher durch die Gesetze der Quantenmechanik miteinander verbunden sind. Das bedeutet, dass alles, was mit einem der beiden kollabierten Sterne geschieht, augenblicklich den anderen beeinflusst – unabhängig davon, wie weit sie voneinander entfernt sind. Sollte eine solche Verbindung tatsächlich existieren, könnte das eines der größten Rätsel der Kosmologie lösen.
Dringt Information in ein Schwarzes Loch ein, beispielsweise indem ein Quantenteilchen hineinfällt, wird sie extrem schnell bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Dieser Umstand bereitet Wissenschaftlern seit Jahrzehnten Bauchschmerzen. Denn eigentlich besagen die Gesetze der Quantenmechanik, dass Information, genauso wie Energie, nicht vernichtet werden kann.
Einige Forscher haben einen Ausweg vorgeschlagen: Die Information über ein Quantenteilchen könnte nach gewisser Zeit aus einem anderen Schwarzen Loch entweichen, das mit dem ersten verbunden ist. In diesem Fall wirkt es, als sei das Teilchen über eine Abkürzung durch die Raumzeit gereist. Die quantenmechanische Verbindung zwischen den kollabierten Sternen entspricht dann einem Wurmloch.

Natürlich ist ein solches Ereignis bisher reine Spekulation. Die heutige Technologie ist weit davon entfernt, derartige Phänomene nachweisen zu können. Doch Physiker um Sepehr Nezami von der Stanford University haben nun einen Vorschlag ausgearbeitet, um die geschilderten Prozesse tatsächlich experimentell zu beobachten. Dabei müsste man nicht mit echten Schwarzen Löchern hantieren. Die Forscher behaupten, dass man bloß einige Ionen und Laser benötigt. Sollte sich ihre Vorhersage bestätigen, könnten sie damit eine der grundlegendsten Fragen der Kosmologie beantworten, nämlich ob Schwarze Löcher Informationen wirklich unwiederbringlich zerstören.
Aus der Quantenmechanik folgt, dass die gesamte Menge an Information im Universum immer gleich bleibt. Schwarze Löcher werden allerdings durch die allgemeine Relativitätstheorie beschrieben und folgen daher anderen Gesetzmäßigkeiten. Sie entstehen aus massereichen Sternen, die unter dem Einfluss ihrer Schwerkraft kollabieren, so dass sie dann nur noch einen winzigen Bereich im Raum ausfüllen. Passiert ein Teilchen oder Licht den so genannten Ereignishorizont (siehe Glossar) eines Schwarzen Lochs, kann es nie wieder entkommen – die Information, die es getragen hat, scheint damit auch für immer verschwunden.

 
Werner
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RE: Kosmologie

#2 von Werner , 23.07.2020 14:56

Auf der Suche nach der verschwundenen Information

Dieser scheinbare Widerspruch entsteht, weil es bislang keine Theorie gibt, die den Mikro- mit dem Makrokosmos vereint. Die Gesetze der Schwerkraft auf großen Skalen basieren auf der allgemeinen Relativitätstheorie, während die Quantenmechanik das Verhalten von kleinsten Teilchen erklärt. Seit über 100 Jahren versuchen Forscher, beide Theorien zu verbinden, doch bislang sind sie gescheitert.

In den 1970er Jahren widmete sich der britische Physiker Stephen Hawking dem Problem der verschwindenden Information in Schwarzen Löchern. Indem er die Gesetze der Thermodynamik und der Quantenmechanik auf eine gekrümmte Raumzeit anwendete, wie sie die allgemeine Relativitätstheorie für Schwarze Löcher vorgibt, erzielte er erstaunliche Ergebnisse: Seinen Berechnungen zufolge müssten die galaktischen Monster Strahlung abgeben – und damit langsam verdampfen.
Hawking nahm dabei an, dass ein Schwarzes Loch von einem Vakuum umgeben ist. Das heißt allerdings nicht, dass der Raum gänzlich leer ist (siehe »Spektrum« Dezember 2019, S. 12). In Wirklichkeit entstehen ständig Teilchen-Antiteilchen-Paare, die sich innerhalb kürzester Zeit wieder vernichten. Wegen der großen Gravitationsenergie eines Schwarzen Lochs gibt es dort besonders viele solcher kurzlebigen Paare. Das führt zu einem seltsamen Effekt: Wenn sich Teilchen und Antiteilchen in der Nähe des Ereignishorizonts bilden, kann es sein, dass ein Partikel den Horizont passiert – und damit für immer verschwindet –, während der dazugehörige Partner entkommt. Irgendwann stößt dieser mit einem verlassen Antiteilchen zusammen, wodurch die beiden sich vernichten und ein Photon erzeugen, was zur so genannten Hawking-Strahlung führt.

Das hat bedeutende Folgen für das Schwarze Loch: Weil es Energie in Form von Photonen abstrahlt und Energie nicht aus dem Nichts entstehen kann, muss der kollabierte Stern an Masse verlieren. Mit der heutigen Technologie lässt sich das nicht nachweisen, doch das Phänomen ist unter Physikern akzeptiert. Auch wenn Hawkings Arbeit die moderne Kosmologie erheblich geprägt hat, löst sie nicht das ursprüngliche Problem. Das Schwarze Loch strahlt zwar Photonen aus, aber diese enthalten in der Darstellung keinerlei Informationen über die hineingefallenen Teilchen. Sobald es vollständig verdampft ist, wären damit die darin befindlichen Informationen ebenfalls für immer verloren.

1997 fand der argentinische Physiker Juan Maldacena eine mögliche Lösung. Er postulierte die so genannte AdS/CFT-Korrespondenz, aus der zum Beispiel folgt, dass die Hawking-Strahlung Informationen über das Innere des Schwarzen Lochs enthält.

Die AdS/CFT-Korrespondenz gilt als eine der vielversprechendsten Richtungen der Stringtheorie – ein Ansatz, der die Quantenmechanik mit der Gravitation vereinen soll. Stringtheoretiker gehen davon aus, dass kleinste Fäden (englisch: Strings) durch ihre Schwingungen alle bekannten Elementarteilchen und Grundkräfte erzeugen. Die Theorie ist äußerst kompliziert und steckt seit Jahren in der Klemme: Unter anderem sagt sie etliche Teilchen vorher, die bislang nicht beobachtet wurden. Als Maldacena die AdS/CFT-Korrespondenz entwickelte, wirkte sie wie ein Hoffnungsschimmer. Sie besagt, dass bestimmte Modelle der Raumzeit mit Quantensystemen zusammenhängen.

Sollte eine solche Verbindung tatsächlich existieren, wäre das für Physiker extrem nützlich. Möchte man zum Beispiel gewisse Eigenschaften eines komplizierten quantenmechanischen Prozesses vorhersagen, könnte man stattdessen eine – unter Umständen einfachere – kosmologische Berechnung durchführen und die Ergebnisse anschließend gemäß der AdS/CFT-Korrespondenz zurück in die Quantenwelt übertragen.

Die AdS/CFT-Korrespondenz ist wie ein Wörterbuch, das kosmologische Prozesse in Quantenphänomene übersetzt und umgekehrt. Nimmt man die Verbindung ernst, folgt daraus, dass die völlig verschiedenen physikalischen Systeme zwei Seiten einer Medaille sind. Auf der einen ist eine Raumzeit mit einer bestimmten Art von Krümmung, die als Anti-de-Sitter-Raum bekannt ist. Das ist der AdS-Teil der Korrespondenz. Auf der anderen Seite hat man eine so genannte konforme Quantenfeldtheorie (englisch: conformal field theory, CFT), die in einer Dimension weniger auftritt als die Raumzeit. Das heißt: Die mathematische Beschreibung eines Anti-de-Sitter-Raums in d Dimensionen ist gleich der einer konformen Feldtheorie in d–1 Dimensionen.

 
Werner
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RE: Kosmologie

#3 von Werner , 23.07.2020 14:59

Anti-de-Sitter-Universum

Albert Einstein erschütterte 1915 unser Verständnis des Universums, als er seine allgemeine Relativitätstheorie veröffentlichte. Wie er herausarbeitete, sind Zeit und Raum nicht statisch, sondern verändern ihre Form: Energie krümmt die Raumzeit.

Anfangs versuchten Physiker, Einsteins Gleichungen in vereinfachter Form zu lösen, indem sie leere Universen ohne Materie untersuchten, die überall gleich gekrümmt sind. Für einen solchen Fall erlaubt die allgemeine Relativitätstheorie drei mögliche Formen der Raumzeit: Sie ist entweder flach (Minkowski-Raum), positiv gekrümmt wie eine Kugeloberfläche (de-Sitter-Raum) oder negativ gekrümmt wie ein Sattel (Anti-de-Sitter-Raum, kurz: AdS) – mit dem Unterschied, dass das Universum dabei keine zweidimensionale Oberfläche ist, sondern das vierdimensionale Gegenstück zu den genannten Beispielen bildet.
Während Physiker sich fragten, welche der drei Lösungen unseren Kosmos am besten beschreibt, versuchten Mathematiker herauszufinden, ob die Lösungen überhaupt stabil sind. Das heißt: Wenn man eine winzige Masse in ein Universum einfügt, behält die Raumzeit ihre Form weitestgehend bei oder entsteht ein Schwarzes Loch, das sie vollkommen verzerrt?

Sobald in einem leeren Universum ein massehaltiges Objekt – etwa ein Teilchen – entsteht, bilden sich Gravitationswellen, die sich durch die Raumzeit ausbreiten. Ähnlich wie Wellen in einem Gewässer können sie mit der Zeit schwächer werden und versanden; das geschieht bei einer stabilen Lösung wie in unserem Universum. Oder sie könnten sich im instabilen Fall zu einer Art Tsunami aufschaukeln, wodurch ein Schwarzes Loch entstünde.

Der Physiker Helmut Friedrich vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam bewies 1986, dass der positiv gekrümmte de-Sitter-Raum stabil ist. Geringe Mengen Materie beeinflussen diese Art der Raumzeit zwar, verändern sie aber nicht maßgeblich. Sieben Jahre später folgte eine Veröffentlichung von den Mathematikern Demetrios Christodoulou und Sergiu Klainerman, in der sie zeigten, dass auch der flache Minkowski-Raum seine grobe Form beibehält, wenn man kleine Massen hinzufügt. Wie es sich mit dem Anti-de-Sitter-Raum verhält, blieb jedoch lange Zeit ein Rätsel.

Erst kürzlich konnte der Mathematiker Georgios Moschidis beweisen, was zahlreiche Physiker bereits ahnten: Ein Anti-de-Sitter-Universum ist nicht stabil. Sobald auch nur das kleinste bisschen Masse auftaucht, bilden sich Schwarze Löcher.

Für die AdS/CFT-Korrespondenz, einen viel versprechenden Bereich der Stringtheorie, der Anti-de-Sitter-Universen mit Quantensystemen (konforme Feldtheorien, CFT) verbindet, stellt das kein Problem dar. Tatsächlich braucht man in der Korrespondenz Schwarze Löcher auf der AdS-Seite, um überhaupt ein quantenphysikalisches Analogon zu finden. Die Arbeit von Moschidis legt nahe, dass Schwarze Löcher im AdS-Universum schneller entstehen als bisher gedacht.
Zudem war Physikern ohnehin schon klar, dass AdS-Universen nicht unserer eigenen Raumzeit entsprechen. Dennoch könnte die Korrespondenz helfen, kosmologische Rätsel in einem neuen Licht zu betrachten und vielleicht sogar zu beantworten. Häufig ist es hilfreich, Probleme in einer simpleren Umgebung zu untersuchen und dann zu überlegen, wie man sie in einem realistischeren Kontext lösen könnte.

 
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RE: Kosmologie

#4 von Werner , 23.07.2020 15:01

Die seltsame Verbindung funktioniert wie ein Hologramm – alle Informationen eines Kosmos sind in Quantensystemen in einer niedrigeren Dimension enthalten. Dieses so genannte holografische Prinzip schlug der Physik-Nobelpreisträger Gerardus `t Hooft 1993 erstmals vor. Maldacenas Arbeit lieferte vier Jahre später das erste konkrete Beispiel dafür.

Dabei entspricht der kontinuierliche Raum im AdS-Universum zahlreichen verschränkten Qubits (siehe Glossar) auf der CFT-Seite, die unentwegt miteinander wechselwirken. Einige Physiker sehen das holografische Prinzip als mathematisches Werkzeug, das Berechnungen vereinfacht. Manche gehen allerdings weiter und folgern, dass verschränkte quantenmechanische Systeme tatsächlich eine Raumzeit mit Gravitation erzeugen. Das würde bedeuten, dass Schwerkraft aus Quanteneffekten besteht.

Bisher sind aber sowohl das holografische Prinzip als auch die AdS/CFT-Korrespondenz nur Vermutungen. Maldacena hat in seiner Arbeit gezeigt, dass einige Eigenschaften von Quantensystemen ein kosmologisches Analogon besitzen. Von einem vollständigen Wörterbuch, das jedem Phänomen auf der einen Seite eine entsprechende Variante auf der anderen zuweist, ist man noch weit entfernt. Zudem unterscheidet sich unsere Raumzeit stark von einem AdS-Universum (siehe »Anti-de-Sitter-Universum«).

 
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RE: Kosmologie

#5 von Werner , 23.07.2020 15:02

Glossar

Mikroskopische Teilchen können miteinander verschränkt sein. Das bedeutet, dass der Zustand des einen unmittelbar von dem des anderen abhängt. Dadurch beeinflussen sich verschränkte Systeme fast augenblicklich.

Der Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs entspricht einer Distanz, ab der ein Objekt dem kollabierten Stern nicht mehr entkommen kann. Selbst masselose Photonen werden an diesem Punkt unwiederbringlich in das Schwarze Loch hineingesaugt.

Wenn Information – beispielsweise in Form eines Qubits – in ein Schwarzes Loch fällt, wird sie verschlüsselt: Eigenschaften wie Masse, Energie oder Ladung vermischen sich so stark mit denen der übrigen Materie, dass es unmöglich erscheint, jemals wieder an die Information heranzukommen.

Dekohärenz tritt auf, wenn ein Quantensystem mit seiner Umgebung wechselwirkt. Der ursprüngliche Zustand des Systems verändert sich dadurch, und die darin anfangs enthaltene Information geht unwiederbringlich verloren.

 
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RE: Kosmologie

#6 von Werner , 23.07.2020 15:04

Quasi gäbe es dann ungeahnte Möglichkeiten des Reisend durch Raum und Zeit.
Abkürzungen für Astronauten besatzungen bei Reisen zu extrem fernen Sonnensystemen.
Oder auch Reisen in Zukunft oder Vergangenheit.

 
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